Als der Ernst des Lebens begann:
Die Schulpflicht und ihre Geschichte
Bis zum Alter von 15 Jahren müssen Jugendliche in Österreich zur Schulegehen. Was manchen als Last und Zwang erscheint, ist in Wahrheit eine echte zivilisatorische Errungenschaft. Die Schulpflicht stellt sicher, dass alle jungen Menschen in unserem Land die gleiche Chance auf Wissen und Bildung haben. Was sie dann für ihr weiteres Leben daraus machen, ist ihre Sache. Aber wann und warum wurde die Schulpflicht eingeführt? Eine Zeitreise zu den Anfängen der schulischen Chancengleichheit.
Eine gute Idee mit 1.000 Jahren Reifezeit
Der Wunsch, von oberer bzw. staatlicher Stelle Kindern Bildung und Wissen zukommen zu lassen, ist schon sehr alt – jedenfalls viel älter als die österreichische Nation. Schon im achten Jahrhundert ordnete Karl der Große an, dass eine allgemeine Volksschulbildung durchzuführen wäre. In Pfarrschulen sollte neben Religion und Singen vor allem das Lesen gelehrt werden. Allein die Durchsetzung seines Wunsches gelang nicht – und so musste ein ganzes Millennium vergehen, bis große Kreise der Bevölkerung von Wissen, Information und Bildung profitieren konnten. Es bestand weithin kein Interesse an standardisierter Wissensvermittlung, weil man davon ausging, dass Lebenserfahrung und andere Kenntnisse, die von der einen an die andere Generation weitergegeben wurden, ausreichten, um für das Leben gerüstet zu sein. Erst durch die Ausbreitung von Handel und Verkehr, durch die Reformation und die Erfindung des Buchdrucks wurden Kenntnisse wie Lesen, Schreiben und Rechnen zu Schlüsselqualifikationen, um sich in einer gewandelten Welt zurechtzufinden.
Das Schulsystem macht Schule
Zwar entstanden im 16. und 17. Jahrhundert – zuerst in Städten und dann auch am Land – schon Schulen, doch bestand keine allgemeine Schulpflicht. Außerdem war der Lehrstoff uneinheitlich und die Lehrer schlecht ausgebildet – Pädagogik und Didaktik waren klarerweise noch Fremdwörter. Erst die Schulreform von 1774 war der Beginn eines einheitlichen, geordneten und staatlichen Schulwesens. Maria Theresia setzte damals eine sechsjährige Schulpflicht (von 6 bis 13 Jahren) in öffentlichen Staatsschulen durch und legte damit den Grundstein des modernen Schulwesens. 1869 wurde die Pflichtschule vereinheitlicht und die Schulpflicht auf acht Jahre erhöht. Aber erst die Schulreform 1918 unter dem Wiener Stadtschulrat Otto Glöckel sicherte bestmögliche Bildung für alle Kinder – egal welchen Geschlechts, welcher sozialen Situation oder welchen Standes. Seit 1962 beträgt die Schulpflicht übrigens neun Jahre.
Formen der Unterrichtspflicht
Heute gilt in Österreich – strenggenommen – nicht die Schulpflicht, sondern die Unterrichtspflicht. Bildung und Wissensvermittlung darf also auch abseits von öffentlichen Schulen (z.B. durch Hausunterricht, in Privatschulen und auch im Ausland) erfolgen. Die Unterrichtspflicht beginnt mit dem 1. September, nachdem ein Kind sechs Jahre alt geworden ist. Sie wird zumeist mit vier Jahren Volksschule, fünf Jahren in weiterbildenden Schulen (Gymnasium, Neue Mittelschule) oder ersatzweise mit einem Jahr im Polytechnischen Lehrgang erfüllt, wenn vorher vier Jahre lang die Hauptschule besucht wurde. Parallel dazu gibt es für junge Menschen, die eine Lehre absolvieren, die berufsbildende Pflichtschule.